von Max Borowski
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Treibt die Wirtschaftslage in Ostdeutschland der AfD die Wähler zu? Nein, sagt der Ökonom Reint Gropp, damit lasse sich das Erstarken der Partei nicht erklären. Der IWH-Präsident gibt der Ampelkoalition eine Mitschuld für die Radikalisierung
Jetzt ist eingetreten, wovor Unternehmer, Manager, Verbände und auch Ökonomen seit Jahren warnen: Die rechtsextreme AfD ist stärkste Kraft in Thüringen und in Sachsen nur ganz knapp auf dem zweiten Platz bei der Landtagswahl. Mit welchen Folgen für die Wirtschaft rechnen Sie jetzt?
REINT GROPP: Man muss zwischen dem Wahlausgang in Sachsen und Thüringen differenzieren. In Sachsen gibt es immerhin, wenn auch ganz knapp, eine Mehrheit für eine mögliche Koalition demokratischer Parteien. In Thüringen ist dagegen im Moment gar nicht absehbar, wie eine Regierungskoalition gegen den Wahlsieger AfD gebildet werden kann. Da sieht es auch aus Sicht der Wirtschaft noch problematischer aus.
Was für ein Problem hat denn die Wirtschaft konkret mit der AfD?
Das größte Problem deutscher Unternehmen in fast jeder Branche und jeder Region ist der Fachkräftemangel, verursacht durch den demografischen Wandel, also dadurch, dass jedes Jahr Hunderttausende Menschen mehr in Rente gehen als Jüngere nachrücken. Auf dieses drängendste Problem der Wirtschaft hat die AfD nicht nur keine Antwort. Sie verstärkt es sogar durch ihre Ablehnung von Arbeitsmigration ebenso wie der Integration von Flüchtlingen, was wir beides dringend brauchen. Das bedeutet nicht nur, dass dringend benötigte Arbeitskräfte nicht hierherkommen. Ich rechne stark damit, dass gerade hoch qualifizierte Menschen, darunter Unternehmer, die die Politik und Rhetorik der AfD ablehnen, abwandern. So verlieren wir nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Investoren und Betriebe.
Sind das Befürchtungen für den Fall, dass die AfD nun in Thüringen die Landesregierung übernimmt, oder werden solche Entwicklungen schon durch den Erfolg der Rechten bei den Wahlen und ihre Dominanz im politischen Diskurs ausgelöst?
Der Einfluss der AfD ist auch ohne Regierungsverantwortung spürbar, indem sie die anderen Parteien vor sich hertreibt und deren Positionen verschiebt. Das ist in Sachsen sichtbar, wo Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU im Wahlkampf Dinge gesagt hat, die nicht Mehrheitsmeinung in seiner Partei sind, gerade zum Beispiel zum Ukrainekrieg. Generell ist es so, dass starke populistische Parteien auch bei eigentlich nicht populistischen zu einer populistischeren Politik führen.
Rechtsextremismus und auch rechte Gewalt sind keine neuen Phänomene in Teilen Sachsens und Thüringens. Müsste diese befürchtete Abwanderung nicht längst eingetreten sein?
Empirisch ist es schwierig, sauber nachzuweisen, warum Menschen aus bestimmten Regionen abwandern oder eben gar nicht erst kommen. Aber ich glaube, dass wir jetzt eine neue Situation haben, dass vor allem Thüringen mit dem Wahlsieg der AfD einen Rubikon überschritten hat. Das ist ein Signal, das Menschen in den USA, Frankreich oder Großbritannien wahrnehmen. Wir sind zumindest in Thüringen an dem Punkt, wo viele ausländische Fachkräfte sich überlegen werden, ob sie da noch hinwollen. Das wird Probleme verursachen.
Gibt es neben der Migrations- und Fachkräftefrage weitere Positionen der AfD, die für die Wirtschaft problematisch sind?
Das zweite große Thema in den kommenden Jahrzehnten neben der Demografie werden der Klimawandel und die Frage sein, wie wir den CO2-Ausstoß reduzieren. Da hilft es überhaupt nicht, wenn eine große Partei die Behauptung verbreitet, es gebe gar keinen Klimawandel und wir bräuchten nichts zu tun. Das reduziert die Bereitschaft einiger in der Bevölkerung, gewisse Lasten zu tragen, die auf jeden Fall kommen werden. Es wird wahrscheinlich die Kosten des Anpassungsprozesses an den Klimawandel erhöhen, wenn man nicht die Chancen dieser Transformation sieht, sondern nur die Kosten. Bei diesem Thema kann auch auf lokaler Ebene sehr viel Schaden angerichtet werden, indem beispielsweise Investitionen in erneuerbare Energien verhindert werden.
Die Wirtschaft leidet nicht nur unter dem Erstarken von Rechtsextremismus, sondern umgekehrt wird wirtschaftliche Unzufriedenheit in der Bevölkerung immer wieder als eine Ursache für den Aufstieg von Populisten herangezogen. Ist das im Fall von Thüringen und Sachsen stichhaltig?
Wenn man sich anschaut, wie es einem durchschnittlichen Ostdeutschen heute geht, im Vergleich zu vor 20 oder 25 Jahren, dann ergibt sich daraus überhaupt kein Grund, dass irgendjemand Rechtspopulisten wählt. Den Leuten geht es heute dramatisch besser. Statt Massenarbeitslosigkeit haben wir Vollbeschäftigung. Die Löhne gleichen sich langsam an das Westniveau an.
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Dennoch fühlen sich offenbar viele Menschen in Ostdeutschland abgehängt oder benachteiligt.
Diese Menschen vergleichen sich nicht mit ihrer eigenen Situation vor 20 Jahren, sondern mit einer völlig unrealistischen Vorstellung davon, wie es anderen geht. Empirisch gibt es zwischen der lokalen ökonomischen Situation und dem Anteil derer, die Rechtspopulisten wählen, kaum einen Zusammenhang. Die wirtschaftliche Lage vor Ort erklärt zwei oder drei Prozent Stimmanteil von Rechtsparteien, aber nicht über 30 Prozent. Einen starken Zusammenhang gibt es dagegen dazwischen, wie man sich informiert, und ob man rechtspopulistisch wählt. Menschen, die Rechtspopulisten wählen, informieren sich überproportional über soziale Medien. Sie bewegen sich in Blasen mit einer verzerrten Darstellung der Realität.
Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Ein Beispiel: In sozialen Medien bekommen sie ständig Videos zu sehen, von Leuten, die behaupten, sie säßen nur zu Hause, würden zwei Stunden arbeiten und dabei 1 Mio. Euro im Jahr verdienen. Das sieht jemand in Hoyerswerda und sagt: Ich arbeite acht Stunden oder mehr am Tag, zahle Steuern und verdiene gerade einmal 40.000 Euro. Damit geht es mir ja ganz schlecht, ich bleibe zurück hinter dieser imaginären, supererfolgreichen Gruppe. Das ist kein ostdeutsches Phänomen. Die Ausnahme sind ja eher die Westdeutschen, wo es diese Art von Unzufriedenheit weniger gibt und Populisten weniger Erfolg haben. Die Ostdeutschen verhalten sich ähnlich wie die Bevölkerung in den meisten anderen Ländern. Das gilt für Ungarn genauso wie für Österreich, Italien oder Frankreich. Es ist gar nicht so schwer zu erklären, warum die Ostdeutschen populistisch wählen. Es ist viel schwerer zu erklären, warum die Westdeutschen es nicht tun.
Das heißt, die wirtschaftliche Unzufriedenheit in Ostdeutschland beruht auf Einbildung oder verzerrter Wahrnehmung?
Sie beruht auf falschen oder verzerrten Vergleichen, die von Populisten noch befeuert werden. Viele Leute denken, vor allem Randgruppen, Flüchtlinge zum Beispiel oder Bürgergeldempfänger, würden viel zu gut behandelt, bekämen vom Staat alles nachgeworfen, während sie sich selbst alles hart erarbeiten müssten. Das ist eine verzerrte Wahrnehmung der Realität.
Was heißt das für die Wirtschaftspolitik? Kann die dann überhaupt Teil einer Strategie gegen Radikalisierung sein?
Wirtschaftspolitik ist in dieser Hinsicht tatsächlich weniger relevant, als manche denken. Auf eine andere Weise ist Wirtschaftspolitik aber sehr wichtig: Die inkonsistente Wirtschaftspolitik der Ampelkoalition aus viel Stückwerk, ohne kohärente Kommunikation und ohne erkennbare Strategie hat in den vergangenen Jahren große Unsicherheit erzeugt. Diese Unsicherheit wird, denke ich, von den Menschen in Ostdeutschland aufgrund ihrer historischen Erfahrungen mit der Wende stärker empfunden und wirkt sich stärker auf das Wahlverhalten aus als im Westen.
Worauf es ankommt, sind also weniger einzelne wirtschaftspolitische Entscheidungen – etwa hochsubventionierte einzelne Industrieprojekte – als eine stringente, klar kommunizierte Strategie?
Genau. Ich hoffe, dass dieses Wahlergebnis ein Weckruf ist für die Ampelkoalition in Berlin, dass sie das eine Jahr nutzt, das sie noch hat bis zur nächsten Bundestagswahl, um in dieser Hinsicht besser zu werden, also konsistenter, kohärenter und strategischer. Das wäre wirklich ein wichtiger Beitrag im Kampf gegen den Rechtspopulismus.
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